Kolumnen

5 Jahre PokerFirma: SOZIALISMUS IST IMPROVISATION von Lasse König (2010)

Als Koluminst beim „Spiegel“ ist Lasse König in der Pokerszene bekannt geworden. Beim Pokerfirma-Magazin 3/2010 gab er sich die Ehre, als Gastschreiber eine Kolumne beizutragen.

POKER-REPLIK: SOZIALISMUS IST IMPROVISATION
von „Spiegel“-Kolumnisten Lasse König (aus dem Pokerfirma-Magazin 3/2010)

SONY DSC„Ich komme aus dem Osten.“ Ich habe diesen Satz schon häufig gesagt, er begleitet mich wie ein treuer Freund seit diesem Tag Ende ’89, als ich mit 13 über den Grenzübergang Bornholmer Straße in Berlin ging. Drüben im Westen lächelten die Leute, als ich den Satz sagte und dann nach dem Bus Richtung Ku’damm fragte. Der Satz hatte etwas Entschuldigendes, und das Lächeln der Leute war voller Mitleid. Ich habe den Satz später auch in Amerika gesagt und war schon wieder stolz dabei. Aber ich wurde angeschaut wie ein unheilbar Kranker. Der Sozialismus hat bei den Amerikanern ja nicht den besten Ruf, und ihr Bild von der DDR muss in etwa dem entsprochen haben, das die GIs aus dem zerbombten Deutschland mitbrachten. Ich habe schlussendlich erzählt, dass wir im Osten sogar Bananen hatten, auch wenn sie nicht immer gelb waren. Ihr Lächeln war voller Ungläubigkeit. Als ich nach Hamburg zog, haben sie mir den Satz nicht mehr geglaubt. „Was, du kommst aus dem Osten?“ Hinter dem DU stand ein Ausrufezeichen, und alles in allem klang es sehr vorwurfsvoll.

Vielleicht lag es an meinem Hochdeutsch oder der Tatsache, dass ich meine Pullover nicht in der Jeans trug. Vielleicht lag es auch einfach nur daran, dass das Bild der Hamburger von der DDR dem der Amerikaner sehr ähnlich ist. Ich habe dann beschlossen, den Satz nicht mehr zu sagen. Es kann anstrengend sein, ein Bild zu korrigieren, das nicht mit Tinte gemalt ist, sondern in Stein gemeißelt. Dann las ich das Pokerfirma Magazin und den Beitrag von Alfred Barth. „Der Sozialismus ist tot – es lebe Texas Hold’em“ stand drüber; es ging im Wesentlichen um die nicht ganz so neuen Parallelen zwischen Poker und Kapitalismus. Die Conclusio von Barths Polemik war die Empfehlung an alle Kapitalismuskritiker, vulgo Linke, vulgo Sozialisten, vulgo Ossis, mit dem Poker aufzuhören. Zu übermächtig sei der Kapitalismus und erfolgreich nur der gnadenlose Pokerspieler – chancenlos der Rest. Als erstes musste ich lachen, dann schüttelte ich den Kopf. Ich musste an die Amerikaner denken und wie verletzt ich mich damals fühlte. Es war mir plötzlich ein Bedürfnis gewesen, nicht nur das Bild von der DDR zu korrigieren, sondern gleich auch noch die Ehre des Sozialismus zu retten. Das Problem ist, dass damals Bananen ausreichten. Aber ich will es trotzdem versuchen.

Zunächst: Ich habe natürlich in diversen Flush-Hour-Kolumnen ebenfalls den Vergleich zwischen Poker und Kapitalismus bemüht. So wie damals, als ich in Vancouver in einem stickigen Casino saß, neben mir einen reichen chinesischen Triaden-Boss und einen reichen Balkan-Cowboy. Das Kapital hatte Position auf das Prekariat, wie im richtigen Leben. Übrigens, lieber Herr Barth: Das Prekariat triumphierte. Die beiden hätten ihr Geld auch zum Heizen verwenden können, und es hätte ihnen genauso wenig wehgetan wie an diesem Tag, als der Boss 2.000 Dollar an die Cashgame-Runde verlor und der Cowboy 100 Dollar an mich. Der Kapitalismus, das zeigte sich an diesem Tag in Vancouver, kann auch sehr leichtsinnig sein, eine Geldverbrennungsmaschine. Der Verweis auf die Bankenkrise ergibt an dieser Stelle genauso viel Sinn wie bei Ihnen. Sie nehmen sie als Beleg für die Stärke des Kapitalismus, weil selbst die Krise ihm nichts ausgemacht habe. Ich nehme sie als Beleg für seine Schwäche. Aber ich will gar nicht widerlegen, dass Poker dem Kapitalismus gleicht. Es ist zu offensichtlich und wäre deshalb ungefähr so kreativ wie die Behauptung, dass Parteien wie Amöben sind. Jeder weiß, dass sich die einen der Fließrichtung des Wassers anpassen und die anderen der öffentlichen Meinung. Es geht mir eher um eine eigene Antwort auf die Frage, die Sie aufgeworfen und mit Nein beantwortet haben, Herr Barth: Kann man sich als Linker überhaupt mit gutem Gewissen an einen Pokertisch setzen?
Man kann. Man muss.

Schweifen wir kurz ab. Es gab bei uns im Osten entgegen dem Klischee nicht nur Bananen, sondern sogar Orangen. Allerdings waren die Ost-Orangen ein Paradoxon. Sie waren nämlich nicht orange, sondern grün. Sie kamen aus Kuba und hatten mehr Kerne als Fruchtfleisch. Wir nannten sie trotzdem Orangen und der Obstsalat mit den Dingern schmeckte wunderbar, es wurden einfach mehr süße Äpfel reingeschnitten. Für all das gibt es einen Begriff, der eine auch im Poker wichtige Eigenschaft beschreibt: Improvisation. Jeder gute Pokerspieler kann sich der Table-Situation anpassen. Er spielt tight, wenn der Rest loose spielt, und andersrum. Er baut ein Image auf, das er später für sich nutzt. Er spielt nicht vornehmlich seine Karten, sondern seine Gegner und die Position. Und wenn man so will, ist es die wichtigste Fähigkeit des Pokerspielers, den anderen orangefarbene Orangen zu verkaufen, obwohl sie grün sind. Ich bin aus dem Osten, Herr Barth, und glauben Sie mir: Wir können das. Die Linkspartei bei uns macht ja nichts anderes. Sie behauptet, regierungsfähig zu sein. Und irgendwann wird man ihr glauben. Sie haben sich viel Arbeit gemacht, die Parallelen zwischen Poker und Kapitalismus herauszuarbeiten, und das ist Ihnen wirklich gut gelungen. Besonders jenes Gleichnis des homo oeconomicus, der im richtigen Leben Kapital auf Kosten anderer akkumuliert und am Pokertisch die Chips der Gegner. Aber die Folgerung stört mich, dass im Reich des homo oeconomicus deshalb kein Platz für andere sein soll. Keine Aussicht auf Erfolg. Dieser Aufruf zur Kapitulation.
Sie schreiben: „Ein Poker spielender Kapitalismus-Skeptiker ist genauso glaubwürdig wie ein Tierschützer, der ab und zu auf Walfang geht.“ Das ist wirklich lustig, weil ich seit nunmehr eineinhalb Jahren pokere, aber trotzdem nie das Gefühl hatte, mich entgegen meiner Natur zu verhalten. Im Gegenteil. Für mich ist Poker Sport, die Auseinandersetzung mit mehreren Gegnern. Als ich vor einem Monat bei einem Multi-Table-Turnier Dritter wurde, habe ich der auf Platz fünf Ausgeschiedenen ein Zehntel meines Gewinns abgegeben. Sie hatte es einfach verdient. Vielleicht geht es am Ende auch nur darum, wie man das interpretiert, was man tut. Mit dem homo oeconomicus ist das ja nichts anderes. Er passt genauso gut in den Pokerkosmos wie der homo ludens, der spielende Mensch. Schiller hat in seinen Briefen „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ ja schon erklärt, dass der Mensch nur da ganz Mensch sei, wo er spiele. Passt doch super zum Poker, die Parallelen sind nicht zu übersehen! Alles nur Menschen, ob Banker oder Linke. Ich muss aufpassen, sonst werde ich noch sentimental. Da fällt mir ein, dass sie ja auch bei Managementseminaren derlei spielerische Elemente einbauen. Angeblich fördert das die Kreativität. Nun, wer’s nötig hat….


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