Als Kolumnist kann man sich manchmal Freiheiten erlauben, die die Verfasser von Nachrichten nicht haben. Und in dem Fall hat Werthan ausnahmsweise mal den Kürzeren gezogen. Während er Euch mit harten und klaren Fakten über die „November Nine“ versorgt, darf ich an dieser Stelle meiner eigenen Meinung und Einschätzung freien Lauf lassen. Da meine Meinung aber nicht unbedingt die der Lesergemeinde sein muss, würde ich mich natürlich gerade bei diesem Artikel über eine rege und kontroverse Diskussion freuen.
Zu Anfang verdienen allerdings Harrahs und der frühere WSOP Commish Jeffrey Pollack eine ausdrückliche Entschuldigung! Denn als der verschobene Finaltisch zum ersten Mal eingeführt wurde, war ich einer von denen, die der Meinung waren, dass diese Idee die WSOP kaputt macht. Das Gegenteil ist tatsächlich der Fall! Zum einen hat man tatsächlich einen Spannungsbogen aufgebaut, der jedem der „November Nine“ zugute kommt und darüber hinaus gut für die TV-Ratings ist. Zum anderen hat man damit auch einen dramatischen Einfluss auf den Ausgang des Finaltisches genommen der meines Erachtens dem Pokern als „Skill-Game“ zugute kommt. Hierzu gleich mehr.
Obwohl Joe Cada’s Rekord als jüngster WSOP Gewinner dieses Jahr nicht in Gefahr ist, handelt es sich in Summe um den jüngsten WSOP Finaltisch der jemals zustande kam. Bis auf Soy Nguyen sind alle Teilnehmer unter 30 Jahren alt. Und auch wenn es mit Michael Mizrachi nur ein einziger der großen Namen in die „November Nine“ geschafft hat verspricht dieses Finale eines der spannendsten der letzten Jahre zu werden. Speziell an den letzten beiden Spieltagen hat ein großer Teil der nun verbliebenen Neun großartiges Poker gezeigt und war auch bereit schmerzhafte aber wichtige Laydowns zu machen. Abgesehen von den zwei Smallstacks am Tisch haben alle noch genügend Chips um auf eine All-In Schlacht zu verzichten und spannendes Post-Flop Spiel auf den Bildschirm zu bringen.
Am Samstag um 12 Uhr PST (20 Uhr CET) geht es nun endlich los. Leider ist bisher noch nicht genau bekannt ob es wieder einen Audio-Stream wie im letzten Jahr oder vielleicht sogar einen Video-Stream ohne Hole-Cards geben wird.
Aber nun zu meinen ganz eigenen Ansichten über die einzelnen Spieler:
Der Chipleader
Beginnen wir mit Jonathan Duhamel. Er ist der überragende Chipleader (65.975.000 Chips) und gleichzeitig ein vergleichsweise unbeschriebenes Blatt. Nicht ganz so unbeschrieben wie Darvin Moon und sicherlich ein ganz anderer Typ … aber der Vergleich mit der Moon-Situation ist trotzdem nicht allzu weit hergeholt. Kann der „November Nine“ Chipleader diesmal das begehrte Bracelet gewinnen? Auszuschließen ist nichts, aber ich persönlich halte seine Chancen für eher gering. Wenn es gut läuft, reicht es wie bei Moon zum zweiten Platz. Vielleicht wird er aber auch im Mittelfeld enden. Denn Duhamel ist eindeutig ein Opfer des „November Nine“ Konzeptes. Während Jamie Gold seinen eigenwilligen „Stil“ problemlos am Finaltisch weiterspielen konnte kann Duhamel das nun nicht mehr. Jeder in der Welt (und insbesondere seine Gegner) haben seine teilweise grenzwertigen Spielzüge gesehen. Gerade Spieler mit genug Chips und Erfahrung wie Dolan, Racener und selbst Mizrachi (der zwar Erfahrung aber nicht genug Chips hat) werden dies beachten und mit dem Chipleader entsprechend umgehen.
Rückblickend betrachtet ist es daher auch nicht verwunderlich, dass z.B. Jamie Gold nach seinem WSOP Erfolg mit dem ihm eignen Stil nie wieder richtig erfolgreich war … und genauso wenig verwundert es, dass seit der Einführung des November Nine Konzeptes nie wieder ein Chipleader (Dennis Philips, Darwin Moon) das Turnier gewinnen konnte. Sicherlich statistisch gesehen noch keine veritable Anzahl, logisch gesehen aber nachvollziehbar. Und hätte es zu Jamie Gold’s Zeiten bereits die „November Nine“ gegeben, hätte der Sieger mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eben nicht Jamie Gold geheißen!
Sicherlich wird auch Jonathan Duhamel einige Fans haben – aber spätestens nach dem Bad Beat gegen Matt Affleck ist er im Gegensatz zu einem Dennis Phillips nicht mehr unbedingt der Liebling der Allgemeinheit. Wer bei ESPN (oder YouTube) diese herzzerreißende Hand gesehen hat sollte auch noch im PokerStars Blog nachlesen was danach geschehen ist:
[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=PMHwtN_wD0Q&fmt=35[/youtube]
Sicherlich gibt es schlimmere Bad Beats (Out-technisch gesehen). Aber ich muss gestehen, dass mir selten das Ausscheiden eines Spielers so weh getan hat wie in diesem Moment.
Der Pro
Also ist Michael Mizrachi aufgrund seiner großen Erfahrung und trotz der wenigen Chips (Platz 7 mit 14.450.000 Chips) der Favorit? So sehr ich ihm das Bracelet gönnen würde – ich denke, dass es nicht reichen wird. Die Chips sind hier nicht das Problem. Damit kann er umgehen. Aber der Druck (ähnlich wie bei Phil Ivey) der letzte Pro zu sein wird unheimlich groß sein. Ein frühes Ausscheiden wäre ein Desaster für ESPN, die Pokerwelt und natürlich den Grinder persönlich. Aber gerade der Druck dies zu vermeiden dürfte ihm eventuell im Wege stehen wichtige Entscheidungen zu treffen. Bereits am letzten Tag konnte man sehen dass er mehr foldete als ihm lieb war. So wichtig war ihm das erreichen des Finaltisches, dass er dafür bereit war seinen eigenen und erfolgreichen aggressiven aber nicht ungefährlichen Stil für einige Zeit hinten an zu stellen. Dagegen kämpfte er sich in wahrer Grinder-Manier von ganz unten ins hintere Mittelfeld und in die „November Nine“. Welchen Michael Mizrachi wir am Samstag am Tisch sitzen sehen (den Aggressiven oder den Vorsichtigen) wird entscheidend für die Chance auf den ganz großen Erfolg sein.
Der stille Kämpfer
Der Dritte im Chipcount (23.525.000 Chips) Joseph Cheong ist schwer einzuschätzen. Online sicher ein erfahrener Spieler ist er live doch ein eher unbeschriebenes Blatt. Er wird es zu schätzen wissen, dass der Finaltisch erst jetzt fortgesetzt wurde … den in den letzten Stunden rannen ihm die Chips nur so durch die Finger (und vor allem in Richtung John Dolan). Mit den beiden großen Stacks Dolan & Duhamel zu seiner Linken und dem Shortstack Senti zu seiner Rechten hat er einen der schwierigsten Spots am ganzen Tisch. Was Cheong aber auszeichnet ist seine Ruhe und Leidensfähigkeit. Am Tag 8 musste er mit AA gegen Candio’s 55 und einer Runner-Runner Straße einen ganz üblen Bad Beat hinnehmen der ihn 45% seines Stacks kostete. Anstatt überragender Chipleader zu sein fiel er ins Mittelfeld zurück. Dass er den Bad Beat (trotz Candios mehr als unangemessener Feier) mit stoischer Ruhe zur Kenntnis nahm und es trotzdem noch in die „November Nine“ schaffte zeigt sicherlich einen Kampfgeist der nicht zu unterschätzen ist. Ich gebe ihm aufgrund sein Position am Tisch nur Aussenseiterchanchen würde ihn aber sicherlich als würdigen Sieger zu schätzen wissen.
Der solide Newcomer
Auch Matthew Jarvis (zur Zeit an 5. Position im Chipcount mit 16.700.000 Chips) ist ähnlich schwer einzuschätzen. Seine Turnierhistorie ist ziemlich kurz aber das was man von ihm im Main Event sehen konnte sah relativ solide aus. Trotzdem konnte man auch die eine oder andere Hand von ihm sehen die verbesserungswürdig gespielt war. Und auch ihm dürfte die Position zwischen Mizrachi und Racener zu schaffen machen. Wenn er aber die Pause zur Vorbereitung auf den großen Moment genutzt hat, kann er auch leicht die Überraschung der „November Nine“ werden … tendenziell sehe ich ihn aber im Mittelfeld angesiedelt. Die große Frage wird auch sein, ob er eher Opfer oder Nutznießer der marginalen Spielweisen von Gegnern wie Duhamel und Candio sein wird.
Der italienische Glückspilz
Eigentlich kamen mir zuerst die Begriffe „Donk“ und „Fisch“ in den Sinn. Aber die sind trotz allem für einen der „November Nine“ unpassend. Und „Luckbox“ ist dank Sebastian Ruthenberg als Name viel zu positiv besetzt. Letztlich kann man aber über Candio’s Spiel in vielen Teilen nur den Kopf schütteln. Calls die noch marginaler waren als die von Duhamel und ein glückliches Timing das seines Gleichen suchte zeichneten den Italiener aus. Den Chiplead den er sich mit einem der schlechtest möglichen Calls gegen Cheong geholt hatte (siehe oben) hatte er auch fast genauso schnell mit genauso schlechten Calls auch wieder abgegeben. Nach Joe Cada, der ähnlich glücklich seine Chancen auf den Gewinn der WSOP 2009 wahrte (aber insgesamt ein deutlich soliderer Spieler war), wäre ein Sieg von Candio in meinen Augen das schlimmste was dem Pokern passieren könnte. Denn dieser Sieg wäre dann definitiv das Ergebnis von deutlich mehr „Luck als Skill“.
Die Shortstacks
Die Spieler am unteren Ende des Chipcounts, Soy Nguyen (9.650.00 Chips) und Jason Senti (7.625.000 Chips), haben erst einmal andere Probleme als sich um das Bracelet Sorgen zu machen. Umgekehrt kann auch genau das ihre Stärke sein. Denn beide haben erst einmal nichts zu verlieren aber viel zu gewinnen.
Soy, der wie er selber sagt dabei ist „weil er einmal die WSOP erleben wollte“ entspricht sicher am ehesten dem Typ „Amateur“ und fühlt sich auch als solcher. Allerdings gehe ich davon aus, dass er seine Freundschaft zu Spielern wie Steve Sung und JC Tran genutzt hat um nicht mehr ganz so „amateurhaft“ zu erscheinen. Ganz abgesehen davon dass er auch in den ersten Spieltagen mehrmals schon das richtige Näschen in schwierigen Situationen hatte. Der Oldie im Feld hat definitiv Talent.
Talent hat auch Jason Senti und dazu noch ein wenig mehr Erfahrung als Soy. Für ihn geht es am Samstag aber erst einmal um zwei Fragen: Den richtigen Spot zum pushen finden und nach Möglichkeit von der Ungeduld Anderer zu profitieren.
Wenn es ihnen gelingt 1-2x aufzudoppeln, dann sieht es natürlich anders aus. Mit Duhamel und Candio haben sie zwar zwei Kandidaten die den richtigen Spot gerne mit grenzwertigen Calls zum verdoppeln anbieten würden – aber zum aktuellen Zeitpunkt sehe ich ersteinmal keinen der Beiden als großen Favoriten auf den ganz großen Preis.
Meine Favoriten
Bleiben John Dolan (Platz 2 mit 46.250.000 Chips) und John Racener (Platz 4 mit 19.050.000 Chips). Dolan hat mehr Chips aber Racener in meinen Augen die größere Erfahrung. Auch wenn es andere Experten anders sehen gebe hier bei einem M=23–57 der Erfahrung den Vorzug. International ist Racener zwar nicht so bekannt, aber speziell im WSOP Circuit ist er eine nicht zu unterschätzende Größe die mit 24 Jahren bereits über 1 Million an Turniergewinnen sammeln konnte. Nach Mizrachi dürfte er sicherlich der erfahrenste Spieler an diesem Finaltisch sein.
Darüber hinaus ist Dolan ebenfalls ein Opfer des „November Nine“ Konzeptes. Nicht weil er wie z.B. Jonathan Duhamel gerne marginale Calls machen würde, aber weil er vermutlich einfach sein Momentum verloren hat. Gerade in den letzten zwei Stunden des Kampfes um den zehnten Platz konnte er seinen Stack quasi verdoppeln. Ob er nun am Samstag nach über drei Monaten daran anknüpfen kann ist eher zweifelhaft. Er wird also erst zeigen müssen wie stark seine Position am Tisch unabhängig von der Größe seines Chipstacks tatsächlich ist.
John Racener erinnert mich dagegen ein wenig an Joe Hachem. Zu einer Zeit als alle Augen auf Mike Matusow, Andy Black und Aaron Kanter lagen konnte der sich zur richtigen Zeit aus dem Mittelfeld an die Spitze spielen. Das Potential dazu könnte Racener auch haben. Vielleicht ist er aber auch eher wie Tex Barch: solide, aber am Ende nur die Nummer 3 die schnell wieder in der Versenkung verschwindet. In wenigen Tagen werden wir es wissen.
Das Resümee
Daher sind für mich die Favoriten John Racener, Michael Mizrachi und John Dolan … in dieser Reihenfolge. Wobei ich eingestehen muss, dass Mizrachi an zweiter Stelle sehr stark durch den Wunsch getrieben ist endlich mal wieder einen Pro ganz oben zu sehen.
So, und nun bin ich gespannt auf Eure Ansichten!