Kolumnen

DER WOLLE, POKERBONDS UND DER LEDERER

Er lebt in zerknautschen Anzügen, beständig erregt, talentresistent, aber dennoch willig, die Krise mit offenen Augen und halbgeschlossenem Herzen zu durchwandern; um als gerechte Belohnung für all die Mühe und die Entbehrungen das Licht zu genießen, welches am Ende der betonierten Unterführung auf ihn warten wird. Oder auch nicht.

Die Rede ist natürlich von dem Investmentbanker, der uns die letzten Jahre so richtig in die Scheiße geritten hat.  Die Rede ist natürlich von dem Durchschnittspokerspieler, der sich die letzten Jahre so richtig in die Scheiße geritten hat.

Mal abgesehen von einer hochklassigen Krise, hatten wir in jeder Hinsicht einen beschissenen Sommer. Ich bin beileibe kein Kapitalismuskritiker wie beispielsweise der Werthan. Mein Kapital ist nur ein kleines Kapitel meines kapitalen Lebens. Dennoch erfreut mich die aktuelle Weltwirtschaftssituation genauso wenig wie die aktuelle Weltpokerlage. Zumal die Parallelen sehr parallel und selbst für ein eher schlichtes Gemüt wie mich nicht zu verkennen sind.

Bei den Griechen geht das Licht aus und auch bei uns ist in der Nacht das Pik As schwarz. Schuldenangst, Bad Beat, Börsenchaos, Full Tilt, Ratingagenturen, Suck Outs. Die globale Ökonomie durchläuft eine Phase des großen Schreckens.

Wir haben die Gefahren, die sichtbar wie Gewitterwolken über uns hingen, wissentlich ignoriert. Und haben dann uns unsere Tränen in leidvollem Erstaunen ob der aktuellen Ereignisse getrocknet. Oder heulen immer noch. Tendenzen und Gefahren wurden weggelächelt; Unsicherheiten wurden ignoriert. Das Denken und das Gewissen ausgeschaltet. Gewissen ist eine bourgeoise Vorstellung, eine christlich-kapitalische Erfindung, um Gedanken und Wünsche des Individuums in die von der herrschenden Klasse geschaffenen und unterhaltenen Bahnen zu lenken. Lederer. Gewissen ist nicht Wissen.

Der Druck der Märkte zerstört nicht nur, er erzwingt auch Veränderungen. Hin zu einer neuen,  eigenen Realität. Eine neue Wirklichkeit. Die Krise verlangt über Jahre hinweg eine Reise entlang tödlicher Klippen. Diesen Weg müssen wir nun gehen, gemeinsam, Hand in Hand. Wir müssen hin zu einer politisch und spielrelevanten neuen Grundordnung. Wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, Unsicherheiten zu beseitigen und mit Kompetenz und einer Aura von autoritärer Anmut durchzustarten. Vettel.

Mit aller Wucht wurden Teile unserer Welt, unserer geordneten Struktur zerdeppert. Von depperten Deppen. Aber auch wir sind nicht frei von Schuld. Wir waren die Anzünder des ursprünglichen Feuerwerkes, welches mit Wucht und Vehemenz uns ereilt und glücklich gemacht hat. Nun müssen wir auch der Feuerlöscher sein. Und die Trümmerfrauen. Wir dürfen die Angst nicht weiter füttern, wir müssen von allen Hemmungen befreit geschmeidig den Wiederaufbau beginnen.

Wir Menschen, egal ob Konsumenten, Anleger, Pokerspieler, Börsianer oder Kakteenzüchter, sind nunmehr die Macht. Macht was draus. Nur mit über 8 Prozent für eine Spaßveranstaltung wie die Piratenpartei ist es nicht getan.

Wohlstand war gestern, heute ist Sturm. Ferguson.

Es gibt keine Wunder in der Wirtschaft, hingegen gibt es gibt Wunder beim Pokern.  Anders ist das Phänomen Knossallala nicht zu erklären. Oder auch Matthäus. Diese These habe ich übrigens letzte Woche mit Jo Heinerlein bei einem gemeinsamen Managementseminar diskutiert; er stimmt mir vollumfänglich zu. Wir müssen selbst unspektakuläre Begrifflichkeiten wie Steuer- oder Rakeerhöhungen positiv angehen. Wir müssen unliebsame Themen akzeptieren, wir müssen den Mut haben, Erprobtes über den Haufen zu schmeißen. Nicht jeder von uns kann ein Lederer sein. Oder ein Petry.

Das, verehrte Leser, Banker und Omaha-Spieler, war nur eine kleine Geschichte, aber sie erzählt, worauf es ankommt. Die Menschheit ist nicht gut darin, mit dauerhaften Problemen und Niederlagen umzugehen.
Im übrigen ist der Großteil dieses Textes abgeschrieben; aus der „Zeit“ vom 11. August.
Und, nein, ich werde nicht zurücktreten.


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