Kolumnen

Pokerreise Tallinn – Das Finale

So, nun nochmal von Vorne! Die ehemalige Hansestadt ist ein großer Stadtteil aus Hochhäusern und Plattenbauten. Erbaut, schätzungsweise zwischen den siebziger und achtziger Jahren. In der kommunistischen Ära. Und direkt daneben, in Richtung Meer ist man im Mittelalter. Im historischen Kern. Mit Märkten, kleinen antiken Buden, Straßencafés, groben Kopfsteinpflaster, Geschrei und Geschiebe am Markplatz, und in den verwinkelten Gassen.

Die historischen Gebäude sind vorsichtig, liebevoll, dezent und naturgetreu renoviert. Die vielen verschnörkelten Schilder der Zünfte und Gilden erinnern an die einstige blühende, reiche Hansezeit. Jeder Neuankömmling der Stadt ist wohl fasziniert von der attraktiven mittelalterlichen Kulisse und kommt aus dem Staunen nicht heraus. Erst recht nicht bei der weitläufigen Aussicht vom Stadtberg über die Dächer auf den Hafen!

Auffällig ist: die Einwohner sind entweder schlank und zierlich oder von fester, grober Gestalt, mit proportional großen Köpfen. Weil man sich in dieser außergewöhnlichen Kulisse fast wie inmitten eines Märchens fühlt, kategorisiere ich liebevoll in: Elfen und Oger.

Wer will, kann sein Kulturprogramm auch noch auf einige Museen ausweiten. Allerdings sollte man sich zwischendurch etwas Ruhe gönnen. Denn nach Sonnenuntergang beginnt ein aufregendes Party-Leben! Tallinn soll eine attraktive Nightlive-Szene haben. So wurde mir von einigen Touristen vorgeschwärmt. Davon überzeugt habe ich mich jedoch nicht. Ich will ja pokern!

Mein 350 Euro Freezoutturnier verläuft abenteuerlich! Mit mir, sitzen nur estnische und finnische Spieler am Tisch. Mein direkter rechter Nachbar macht Geräusche, die mir große Sorge bereiten: ob er es wohl schafft sein Mittagessen in sich zu behalten. Auf Details werde ich lieber verzichten. Ansonsten ist das allgemeine Benehmen eher rustikal.

Im zweiten Level reraise ich aus dem Small Blind mit Queens um das Vierfache des Raise von UTG und einem Call aus der Mitte! Völlig unerwartet springt der Initial Raiser, ein Oger, hektisch aus seinem Sitz. Schiebt den Spieler im Big Blind grob zur Seite. Stoppt mit seiner Nasenspitze kurz vor meiner. Brüllt mich an: „You better be carefull!“ Bei so viel unkontrollierter Emotion bin ich erst einmal perplex.

Irgendetwas, vielleicht eine gefühlte feminine Autorität, löst in ihm einen extremen Widerwillen aus. Gut, wahrscheinlich handelt es sich dabei um ein ungelöstes Kindheitstrauma oder so. Keine Angst vor bösen Jungs zu haben, habe ich allerdings schon in meiner Kindheit gelernt. Danke an meinen großen Bruder und dessen nervigen Freunde an dieser Stelle.

Wieder im Sicherheitsabstand, bitte ich ihn, diesen beizubehalten. Und weil sich alle irgendwie laut anbellen, spreche ich betont sanft und leise. Ein Knurren ist seine Antwort auf meine Bitte. Leider geht die Runde an ihn. Mit geturntem Set Siebener.

Wer glaubt, das ruppige Verhalten hätte beim Dealer oder dem Floor Aufsehen erregt, der irrt sich! Erst folgende Situation reicht den Verantwortlichen aus, um in die Gänge zu kommen: an einem Cashgame Tisch beschimpft ein estnischer Spieler, Valentin, ausdauernd und lautstark seine Gegner und den Dealer. Die Emotionen kochen über, und Valentin schlägt auf den Dealer ein. Seine Konsequenz: ein Jahr Hausverbot!

Nach der Dinnerbreak oder auch Herdenfütterung, geht es für mich an einen neuen Tisch, und mit meinem Stack AUF und AB!

Im rasanten Tempo bewegen wir uns in Richtung Bubble. Wir sind shorthanded und ich Small Stack. Ich sitze neben Big Stack Juka, einem finnischen Spieler im reifen Alter. Mit einem warmherzigen Wesen und einem lebensklugen Blick auf die Menschen sowie No Limit Hold‘em. Jeder seiner Moves strahlt Gelassenheit und Selbstbewusstsein aus. Small Stacks zu attackieren bzw. zu eliminieren scheint ihm nicht wichtig zu sein. Auf meine Frage (oder besser Erkenntnis) warum er auf meine Raises foldet, lächelt er nur milde: „hätte ich ein Ass, würde ich dein All in callen.“ Das glaube ich ihm aber nicht! Die Anwesenheit von Small Stacks in der Bubblephase, ermöglichen ihm leicht von den Mid Stacks Chips zu sammeln. Möchten diese doch kein unnötiges Risiko eingehen. Und diese Strategie nutzt Juka konsequent mit Erfolg!

Eine Platzierung vor der offiziellen Bubble ist für mich das Turnier beendet. In meinen Gedanken ist die Theorie von ICM präsent. Aber beim Anblick meiner Pocket Tens im Big Blind und einem Limp aus dem Small Blind leider zu schnell vergessen. Ich pushe! Dummerweise hat mein Gegner Pocket Queens, die halten. Er covert mich und ich bin raus!

Tallinn ist eine Reise wert. Trotz widriger Umstände hat mir mein Aufenthalt gut gefallen. Allerdings, den Vorschlag meines Freundes: nächsten Sommer nach Riga zu reisen, boykottiere ich erst einmal. Baltische Staaten, gerne wieder! Aber dann lieber im Herbst!


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