Tight. Das ist genau das, was ich nicht kann. Oder vielleicht auch gar nicht will. Ich unruhiges Spielkind, der mehr als achtundzwanzig sehr gute Starthände für sich ausgemacht und analysiert hat. Abwartend tight ist nichts für mich, der mit Agilität und Anspannung reichlich gesegnete Hypernervöse.
Erst einmal die anderen Spieler die Fehler machen lassen; die eigenen groben Schnitzer kommen sowieso früher als einem lieb ist. So soll es sein. Aber das ist nicht mein Stil. Natürlich hat das auch was mit dem „Echte-Männer-Syndrom“ zu tun, mit dem Dicke-Eier-Contest. Wenn ich bei minus 12 Grad nur im T-Shirt und in Flip Flops draußen rauchen kann und über zwei Ecken mit Hans Sarpei verwandt bin, dann kann ich auch mit 73 off ein Rerereaise für 72 Prozent meines Stacks callen. Easy call. Ich bin mir sicher, das hätte Phil auch so gespielt. Also nicht Phil Hellmuth und schon gar nicht Phil Ivey, dafür aber bestimmt Phil Collins.
Wer wie ich alkoholfreies Bier verabscheut, kann auch aus Early Position mit 84 suited all-in stellen. Letztendlich will ich damit nur die moralische Dignität des Wohlstandes gegen die Anspruchsunverschämtheit der Schnorrer verteidigen. Alles andere wäre sozialpolitisch und gesellschaftstheoretisch unlarmoyant.
Wer übrigens den letzten Satz bzw. den Sinn hinter diesem Satz verstanden hat, melde sich bitte per Fax bei mir.
Natürlich artet diese Spielweise in eine düstere Komödie aus; getaucht in das diffuse Licht des Nichttalentiertseins. So aber soll meiner Meinung nach das Spiel sein. Eine konzertierte Fluktuationskontingenz. Wobei eine ambivalente Wachstumstendenz derzeit von vielen Spielern bevorzugt wird.
Ich aber bekenne mich dazu – ich bin ein donkender Fundamentalist. Dazu steh ich. Und Poker ist dabei mein Schwert. Einmal und noch einmal und immer wieder. Mein Credo als natural born bad Player. Tight spielen ist so öde wie Nieselregen im Münsterland.
Und deshalb bin ich für diesen Artikel der absolut Ungeeignete. Insofern war dieser Artikel jetzt unnütz, aber als schlechtes Beispiel gut geeignet. Wer am Ende ist, kann wenigstens noch einmal von vorne anfangen.
Denn tight is not right. Not for me. Tight ist eine archäologische Reminiszenz an die Ursprungszeit des Pokerns – Kartenvergleichen mit jeweils 5 bedruckten Stücken Papier. Ohne Erhöhungen, ohne Spannung. Kolossales Biedermeier mit greisenhafter Formelhaftigkeit. Normalität mit nahezu gespenstischem Einschlag.
Tight wirkt sich in einer unheimliche Trostlosigkeit aus; Entleerung und Leere werden dabei sichtbar gemacht. Keine seelische beschwingte Atmosphäre, die Daseinswohligkeit und Lebenstüchtigkeit vermissen lässt. Traurige Passivität in einer unfaszinierenden Mischung aus Afffektlosigkeit und Konvention. Kein erfreuliche Orgie, kein Paradies der Exzentriker und am allerwenigsten kein Garten der Lüste.
Oder – um es frei mit Shakespeare auszudrücken (Der Sturm, 5ter Akt):
Ich habe innerlich geweint, sonst hätt ich
Schon längst gefoldet. Schau herab, ihr Dealer,
senkt eine Segenskron auf dieses Paar !
Denn ihr seids, die den Weg uns vorgezeichnet,
der uns hieher gebracht.
Ich sage Amen.
Wer übrigens dieses verstanden hat, melde sich bitte dringend per Fax bei mir – es gibt auch hier etwas für die richtige Antwort zu gewinnen.