Was ist bloß los mit mir? Hat mich die lang erwartete Milde des Alters ereilt, sind es die Gefühle des Frühlings oder hätte ich die angebotenen Plätzchen meiner sonderbaren Nachbarin besser ablehnen sollen? Wo zur Hölle ist meine Bösartigkeit geblieben und warum tauche ich meine Feder nicht in übel riechende Salzsäure wie sonst auch?
Die TV Total Pokerstars.de Pokernacht erfüllt in meinem Leben eine wirklich wichtige Ventilfunktion. All die Demütigungen des Alltags und die Ungerechtigkeiten die mir ungerechterweise widerfahren, verarbeite ich in einer Tirade des Hohns. Hinterher fühle ich mich dann besser, befreit und irgendwie wichtig. Kaum sind die Stars vom Sockel gestoßen, erklimme ich ungeahnte Höhen des Selbstvertrauens. Deswegen gilt die Regel bei Raab, desto schlechter ich mich unterhalte, desto besser fühle ich mich.
Gestern war alles anders, gestern habe ich mich prächtig unterhalten und war glücklich auch noch dabei. Von der ersten bis zur letzten Minute der Sendung saß ich grinsend vor meinem riesigen HD-Teil, um mich in seliger Entspanntheit bestens zu amüsieren. Fernsehen kann so schön sein und die TV Total Pokerstars.de Nacht so witzig!
Besonders wenn Stefan Raab gleich in der dritten Hand vom Tisch gefegt wird. Wobei, das hat er auch wieder nicht verdient, schließlich habe ich ihn vor zehn Tagen zweimal auf die Schnauze fliegen und zweimal wieder aufstehen sehen. Seitdem hat der Junge meinen wirklichen Respekt. Würde er wirklich Poker spielen lernen wollen, könnte er es auch viel besser. Aber was soll Raab motivieren? Der hat wahrscheinlich mehr Geld am Konto als Peter Eastgate und ich zusammen. Das motiviert wenig zu wahren Fortschritten.
Jedenfalls war Stefan Raab draußen und der arme Uwe Ochsenknecht auch gleich am Weg in die Losers Lounge und wer glaubte, jetzt sei der Abend unterhaltungsmäßig vorbei, wurde durch die brillant ausgewählten Gäste eines Besseren belehrt. Bevor ich da einzeln auf die andern Spieler eingehe, gestatten Sie mir einen kurzen Schwenk zu den selbstdiagnostizierten Gefühlen des Frühlings. Mal ganz unter uns – quasi von Schreibermann zu Lesermann – war die Dealerin Gabi immer schon so unfassbar hübsch? Hatte ich bisher Cocktailtomaten vor den Augen oder war meine Sicht der Dinge sonst so von Hass und Missgunst verblendet, dass ich einfach nicht sah, was man einfach sehen musste? Die wunderschönen blonden Haare kunstvoll geföhnt zu den Frisuren meiner Jugendlieben, diese zarte grazile Figur, diese wunderschönen Hände, die Anmut der Bewegung passend zur eleganten schwarzweiß gestreiften Bluse. Und dass sich Gabi angesichts der heiteren Stimmung am Tisch, immer wieder aufs Neue zusammenreißen musste (nicht immer erfolgreich) um nicht mitzulachen, macht sie doppelt sympathisch.
Die Einzelkritik
Stefan Kretzschmar zum zweiten Mal bei der TV Total Pokerstars.de Nacht dabei. Wir erinnern uns wie er seinerzeit den unsäglichen Tim Mälzer im Heads-up besiegte. Seitdem darf er den selten verliehenen Titel „Freund der Pokerfirma.de Redaktion“ führen. Solides Spiel, kampfkräftig und bei entsprechendem Coaching ist da sicher noch Luft nach oben. Die Anlagen sind zweifelsfrei da und als Gast mit unerwartetet hohen Entertainer-Qualitäten hoffentlich noch ein drittes Mal dabei.
Elton gewohnt souverän und unterhaltsam. Glaube zwar, dass sein Spiel ein wenig überschätzt wird, aber grundsätzlich weiß er auch am Pokertisch um was es geht. Durch den vorzeitigen Abgang seines Chefs quasi der Gastgeber der Pokernacht und auch diese Aufgabe wurde witzig und sympathisch bewältigt.
Der Online-Qualifikant: Wenn jemand Semih heißt und Germanistik studiert, hat er bei mir mal von Start weg gute Karten. Am Spieltisch waren die ihm nicht vergönnt. Ein unsägliches Abonnement an Trashhands und wenn er mal in die Gnade eine guten Starthand kam, fehlte es am entsprechenden Gegner. Respektgebietend mit welcher Klasse Semih das wegsteckte und nie die Nerven verlor. Kein Wort des Jammerns entkam seinen Lippen, stattdessen versteckte er sich ein wenig hinter seinem Kevin Spacey-Lächeln und wartet auf bessere Zeiten – und wohl auch auf bessere Karten. Gesamteindruck: Hervorragend!
„Cindy aus Marzahn“ und damit wären wir bei dem eigentlichen Star des Abends. Bisher kannte ich diese junge Frau vom Wegschalten. Einem unwillkürlichen Reflex folgend, drückte mein Zeigefinger stets wahllos andere Programme, sobald ich dieser Kombination aus blond, rosa, laut und grell gewahr wurde. Vielleicht ist es angebracht, an dieser Stelle auf meine Einleitung und besagte sonderbare Plätzchen hinzuweisen, aber was musste ich gestern über jede einzelne Pointe lachen. Ihr Timing, ihre narrativen Strategien mögen sich in der Wiederholung abnutzen und dann könnte der Zeigefinger wieder recht haben. Gestern aber ließ ich den Bauch regieren und habe mich selten so sehr vor dem TV-Gerät amüsiert. Mit Stefan Kretzschmar lieferte sich Cindy grenzgeniale Doppelconferencen und bekam dann schlussendlich zwar nicht dessen imposanten Körper („nur für eine Nacht“) geschenkt, aber immerhin Kretzschmars Halskette. Verdienter Lohn für die beste TV Total PokerStars.de Nacht aller Zeiten, zu der Cindy aus Marzahn einen großen Teil beizutragen wusste.
Michael Körner und Oliver Welke wurden ja in meinen Rezensionen schon öfters gelobt. Gewöhnlich meistern sie es auch die weniger spektakulären Pokernächte witzig und amüsant zu kommentieren. Diesmal war alles viel einfacher, die Unterhaltungsmaschine aus Marzahn lief auf Hochtouren und so nahmen sich Welke und Körner ein wenig zurück, um dann doch im entscheidenden Moment eine feine Pointe loszulassen. Alleine der Scherz zu Cindys möglichem Grabsteinspruch: „Kann ich jetzt checken?“ verdient ein fettes RESPEKT. Quasi von Berufshumorist zu Berufshumorist, feine Leistung und ein mit Stil und Witz moderierter Abend.
Resümee und Epilog
Und der Abend wurde dann noch durch das packende Finale gekrönt. Stefan Kretzschmar im Duell gegen Semih. Nach meinem Gefühl hatte der Online-Qualifikant bis dahin keinen Showdown gewonnen, sondern sich mit Geduld und Geschick durch alle Fallen und Widrigkeiten manövriert um dann im entscheidenden Moment hellwach und starkes Poker zu spielen. So gehört es gemacht. Da kann man – ausnahmsweise – wirklich einmal etwas lernen, auch bei dieser einer Unterhaltungssendung angepassten Struktur. Stefan Kretzschmar war stark, aber Semih war noch viel viel stärker. Für einen kurzen Moment sah man beim Heads-up in den Augen Kretzschmar kurz Angst aufflackern, oder zumindest ein angstverwandtes Gefühl. Diesen Triumph und die € 50.000 hat sich Semih redlich verdient.
Noch ein paar abschließende Worte an Stefan Raab. Alles richtig gemacht – irgendwie zumindest. Die Jacks waren ein klarer Fold, aber die Erklärung dazu überlasse ich Kollegen Heitmann und Körner. Richtig gemacht, meine ich im überhöhten Sinne. Wir dürfen nicht vergessen, Stefan Raab durfte die letzte TV Total Pokernacht gewinnen. Der Bann ist jetzt gebrochen. Raab ist jetzt auch ein Pokersieger und darf sich in diesem speziellen Biotop schon bald einen „guten Spieler“ nennen. Und ein guter Spieler gewinnt so ein Turnier, oder scheidet gleich aus und sucht sich den besten Platz an der Bar. Und irgendwie ist die Loser Lounge ja so eine Art Bar. – Da fällt mir gerade auf, irgendwie sind die meisten Bars, die ich kenne, auch so eine Art Loser Lounge. Aber egal, ich merke, ich komme vom Thema ab. Zusammenfassend, ich durfte einen wirklich witzigen Abend erleben, über den es einfach nichts Böses zu schreiben gibt. Ich hoffe aus rein beruflichen Gründen, dass sich so etwas nicht wiederholt. Vernichtende Rezensionen schreiben sich einfach viel geschmeidiger und machen weniger Arbeit. – In diesem Sinne auf ein nächstes Mal.