Kolumnen

Vorsicht, Angst!

Thema „Angst“ – kein Problem, dachte ich, als Werthan mir erklärte, künftig Schwerpunkte in den einzelnen Ausgaben setzen zu wollen und mit diesem Begriff zu starten. Bei näherer Überlegung kam ich dann aber doch zum Schluss, dass das gar nicht so einfach ist.

Was ist Angst? Habe ich überhaupt Angst? Ad hoc neigt man – vor allem Mann natürlich – dazu, dies beinahe schon klischeehaft zu verneinen. Nach dem Motto: Echte Männer haben keine Angst – sie sind bestenfalls vorsichtig.

Aber natürlich hat man auch mal Angst. Sie ist sogar eines der bedrohlichsten Gefühle, die es gibt. Oder ist dieses ungute Gefühl vielleicht doch eher Respekt, Furcht oder Sorge? Was genau ist denn nun der Unterschied?

Also muss – es lebe das Internetzeitalter – einmal Google herhalten. Wunderbar – denn dort gibt es gleich 98.200.000 Ergebnisse für den Suchbegriff „Angst“ und ist somit eine glatte Fehlanzeige, um der Thematik auf die Schnelle näherzukommen. Dann der glorreiche Einfall – es handelt sich ja um ein Pokermagazin – doch nochmals „Poker+Angst“ einzugeben. Also zurück ins Internet, um gleich wirklich Angst zu bekommen. Nämlich vor stolzen 3.080.000 Ergebnissen zu dieser Verbindung und der leeren Seite vor mir.

Dann schleicht sich irgendwie der Begriff Furcht ein. Eventuell hat man ja Furcht und nicht Angst? Klingt auf alle Fälle schon besser. Aber leider wieder nichts, zumal der Begriff Furcht, wie mich eine weitere Recherche aufklärt, von manchen gar als Synonym für Angst verwendet wird, von anderen hingegen klar als objektbezogene Angst von der eigentlichen Angst – ganz schlau als objektunbestimmt definiert, abgegrenzt wird. Wie jetzt? Langsam wird es immer verwirrender. Ein Versuch noch, denke ich mir, dann sage ich entweder Werthan ab oder schreibe einfach, was mir gerade in den Sinn kommt. So suche ich die „Gegenwörter“ von Angst. Kurzes Aufatmen, ich bin ein wahrer Mann und richtige Männer nehmen nicht nur Pitralon, sondern nennen auch Eigenschaften wie Furchtlosigkeit, Mut und Gelassenheit ihr Eigen. Das sind nämlich die als Gegenwörter von Angst aufgezählten Begriffe.

Aber gehe ich wirklich furchtlos an jeden Pokertisch? Was für ein Schmarren! Wäre ich beim Pokern furchtlos, hätte ich Angst. Nämlich Angst vor mir selber. Denn wenn ich an einem Pokertisch sitzen muss und da sind sechs, sieben Leute, von denen ich weiß, dass sie zum Geld überhaupt keinen Bezug haben, die damit umgehen, als sei es abgeschafft, bekomme sogar ich es mit der Angst zu tun.

Scared money can’t win.

Die Jungen sagen „scared money can’t win“. Ich hingegen würde noch einen Schritt weiter gehen und sagen: „Schuster bleib bei deinen Leisten.“ Man muss seine Grenzen kennen. Mit Leuten, die ohne mit der Wimper zu zucken und einer Nonchalance um Summen zocken, die mich nervös werden lassen, 200k locker vor sich liegen haben und dann vielleicht noch Omaha spielen, setze ich mich gar nicht an den Tisch. Das passt weder – wie in der vergangenen Kolumne beschrieben – zu meinem Wertesystem noch ist es meine Bankroll.

So wie ich auch nicht in Monte Carlo Urlaub mache. Was will ich in Monte Carlo im Urlaub, wo sich nur Milliardäre bewegen und dich jeder Abend, an dem du weggehst, 50.000 kostet. Das ist halt zu teuer. Mit solchen Leuten kann ich mich halt nicht messen. Und dasselbe gilt beim Pokern. Ich kann mich nicht an einen Tisch hocken, wo die Auflage 400, 500k ist und nach dem Motto „wenn es fort ist, ist es fort“ gespielt wird. Ich riskiere nicht in einer Nacht 500.000 – dazu habe ich zu hart für mein Geld gearbeitet. 20 bis 30.000 okay, aber das ist meine Obergrenze. Und das ist genau der Punkt. Ich muss mir vorher überlegen, wo, wann, mit wem und um wie viel ich spielen will. Was entspricht meiner Bankroll, wie viel will ich mir leisten und wie viel bin ich bereit auszugeben – dann brauche ich auch keine Angst am Tisch zu haben.

Wenn du Angst hast am Tisch, dann hast du auch schon verloren. So gute Karten kannst du langfristig gar nicht bekommen, dass du dich da dann behaupten kannst. Sobald Angst im Spiel ist, triffst du nur mehr suboptimale Entscheidungen, spielst zu tight, kannst nicht mehr richtig bluffen, bluffst zu wenig, machst zu kleine Value-Bets und wirst automatisch zum Fisch.

Man muss halt nicht um jeden Preis und überall dabei sein. Und: Höheren Partien abzusagen – dazu gehören erst recht „Eier“.

Mut ist, wenn man Todesangst hat, aber sich trotzdem in den Sattel schwingt.
(John Wayne)

Aber diese Unsitte, über seine Verhältnisse zu spielen, ist für mich nicht Angst. Richtige Angst hat man, wenn man um sein Leben bangt oder die Gefahr besteht, ernsthaft verletzt zu werden. Aber selbst daran gewöhnt man sich. Ich habe halt damit leben gelernt, immer in den Rückspiegel zu schauen, mich immer umzudrehen, nie aus dem Auto zu steigen, ohne zu checken, ob da nicht jemand ist.

Zu meiner Diskothekenzeit etwa hatte ich noch keine eigene Security. Da war ich mit Anfang zwanzig selbst der Frontmann, der am Eingang stand oder im Lokal für Ruhe sorgte. Damals habe ich alle Gäste persönlich begrüßt und verabschiedet und natürlich auch entschieden, wer reinkommt. Wenn dann eine Gruppe, die auf Streit aus ist, vor der Tür steht und du denen sagst, dass sie hier nichts zu suchen haben, musst du dich schon auf die Füße stellen und darfst quasi alles tun, nur keine Angst zeigen. Dabei weißt du, die sind hier, um Ärger zu machen. Das war früher auf dem Land gang und gäbe, dass gewisse Gruppen in die umliegenden Tanzsäle zum Raufen gefahren sind und nach der Sperrstunde mit dem Vorsatz „So, jetzt geht es dort weiter“ zu uns in die Disco kamen.

Da musst du mal diese Angst, die du in diesem Moment hast, zumal du ja – oder ich zumindest, der nie ein Riegel war – auch körperlich unterlegen bist, überwinden. So tun, als ob es dir egal wäre, auch wenn du zuschlagen müsstest. Und zwar zuerst, beim Rädelsführer, und richtig. Und das, obwohl du natürlich die Hosen voll hast und weißt, dass da eventuell sechs, sieben Mann auf dich losgehen. Auch wenn ich für solche Stresssituationen Kickboxen und Taekwondo trainiert habe – die Angst und das Wissen, selbige überspielen zu müssen, bleibt. Wenn du Glück hast, kannst du die Situation mit einem guten Spruch retten, der dir aber in einer solchen Situation erst einfallen muss.

Aber auch diese Situationen wird man gewöhnt und diese Angst erscheint im Nachhinein als gar nicht mehr so groß, wenn man in die nächste Ebene der Angst vorgerückt ist. Die Ebene, wo es um das eigene Leben geht und nicht „nur“ um körperliche Unversehrtheit. Diese habe ich kennengelernt, als ich die erste Morddrohung „von ganz oben“ erhielt und dann monatelang nicht ohne Security vor die Tür gehen konnte oder beinahe täglich und unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen meinen Aufenthaltsort wechseln musste.

Heute glaube ich, dass Angst viel mit Erfahrung und richtiger Selbsteinschätzung zu tun hat. Wenn ich etwa weiß, welche Werte mir wichtig sind und dass ich der Typ bin, der nicht aufgibt und immer wieder aufsteht, kann ich meine Ängste minimieren, Stresssituationen – und sind sie nur so nebensächliche, wie dass du rechtzeitig losfährst, wenn es dir wichtig ist, pünktlich zu sein – von vornherein vermeiden, Missstände, die ich selber verschuldet habe, akzeptieren und Unvermeidbares annehmen und dementsprechend ruhig leben.

Aber das sind eben Erfahrungswerte. Auch ich war nicht nur einmal in der Situation, dass ich Angst hatte, ob ich meine Familie ernähren kann oder ob es beruflich noch weitergeht. Einmal bin ich sogar so gestrandet, dass ich wirklich alles verloren hatte – sogar mein Privatvermögen. Dadurch verstehe ich die Menschen, die Existenzängste haben, nur allzu gut. Die Jugend, die Angst hat, keinen Ausbildungsplatz zu bekommen, Menschen, die – die meiner Meinung nach berechtigte – Angst haben um ihre Rente, Angst vor einer Währungskrise, Angst vorm Altwerden, vor Krankheit, vorm Alleinsein und, und, und. Es gibt tausend Ängste, mit denen man sich auseinandersetzen kann.

Der Unterschied zu mir liegt wahrscheinlich lediglich darin, dass ich mittlerweile schon so viel erlebt habe und gelernt habe, auch mit Angst umzugehen. Dass ich weiß, dass mich Angst nicht lähmt, sondern mobilisiert und dass Angst immer ein schlechter Ratgeber ist. Aber auch, dass ich ein Stehaufmännchen bin, das die Kraft und die Konsequenz hat, wenn es zehn Mal hinfällt, elf Mal aufzustehen. Das rührt auch daher, dass ich immer schon gearbeitet habe und immer tüchtig war, mir nicht den Luxus von Urlaub oder freien Wochenenden gegönnt habe. Du darfst dir halt für keine Arbeit zu schade sein. Selbst wenn ich heute alles verlieren würde, wäre es für mich kein Problem, wieder als Kellner zu arbeiten. Und da scheitert es bei vielen. Das „Jammern auf hohem Niveau“ ist halt nach wie vor sehr „in“, wofür ich kein Verständnis habe.

Natürlich ist mit voller Hose leicht stinken. Aber darauf habe ich auch mein ganzes Leben lang hingearbeitet. Inklusive aller Rückschläge und Anfangsschwierigkeiten.

Ein großer Teil der Sorgen besteht aus unbegründeter Furcht.
(Jean-Paul Sartre)

Ich werde nie vergessen, wie ich ein paar Tage vor der Eröffnung meiner ersten Diskothek stand und mir jemand erklärte, die mühsam zusammengesparte Einrichtung sei lediglich eine billige Imitation einer Disco in der nächsten Stadt. Ich sofort nach Hause, umgezogen und zu besagter Disco nach Erlangen. Da bin ich dann aus allen Wolken geflogen – denn er hatte tatsächlich recht. Meine anscheinend so geniale Idee war nur ein billiger Abklatsch. Und das finanziert mit aufgenommenem Geld und Handwerkern, die ich mit Wechseln bedient hatte. Denn damals hatte ich ja nichts – außer dem Vertrauen der Leute in mich. Diese Angst damals, die Leute zu enttäuschen, nicht zahlen zu können und als der absolute Loser dazustehen, werde ich nie vergessen. Damals habe ich auch bitter gelernt, dass Ängste, mit denen man nicht umgehen kann, zu Krankheiten führen können. Bei mir war es ein Zwölffingerdarmgeschwür-Durchbruch, mit dem ich „meine“ erste Eröffnung im Krankenhaus verbrachte. Und das, obwohl alles gut ging und wir trotz Billigversion – was ja auf dem Land bei uns überhaupt keinen interessiert hat – jeden Tag voll waren und der Betrieb ein toller Erfolg wurde. Die Angst war also völlig unbegründet. Aber um das durchzustehen und zu lernen, braucht man halt ein starkes Herz – und einen noch stärkeren Magen. Sowie den eisernen Willen, mit der Situation richtig umzugehen und nicht zusätzliche Fehler zu machen. Wie etwa Alkohol oder Drogen zu konsumieren. Da passiert es dann ganz schnell, dass man das eine Übel zwar eventuell überstanden hat, aber man mit einem noch größeren konfrontiert wird. Diese Leute dürfen sich dann nicht wundern, wenn sie Depressionen, Phobien etc. bekommen und früher oder später beim Psychiater oder im Entzug landen.

Man muss den Umstand, dass „die Phantasie der Angst jener böse äffische Kobold“ ist, „der dem Menschen gerade dann noch auf den Rücken springt, wenn er schon am schwersten zu tragen hat“, wie es Nietzsche so schön ausgedrückt hat, halt akzeptieren und versuchen, dementsprechend Vorsicht walten zu lassen, um in die Situation zu kommen, in der man nicht mehr Angst haben muss, sondern die Dinge regelt.


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